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56/16 – Paris-le longe du chemin sur la rive

– cahier – première partie – brouillon 1 // la rive gauche // Im Leben kehren Formen wieder und immer wieder tauchen sie auf. Wünsche, Ersehntes, Vergessenes. Manchmal und oft, schaue ich weg, hin und verliere sie aus den Augen. Ein Wind trägt sie zurück, drapiert sie vor mich hin, legt sie aus, wieder zusammen, ineinander gebunden. Ein unsichtbarer Faden. Eine Spur. Eine Unruhe. Alles ist noch zu nahe am Objekt.

Oh diese zerknitterte Seele, die ich hintrage. Vielleicht lese ich die Tage rückwärts, wenn ich lese. Oder richtungslos, wie ein kleiner Wirbel in der Seine. Ein Hologramm, das Leben. Eine Schneelandschaft. Ein Stillleben, das ich nur ungern umstelle und aus der Hand gebe. Dieses Schwebende, das zwischen den Worten das Sprachliche und Bildliche ordnet.

Der Wind ist kühler geworden und weht die Rufe der Möwen unter die Brücke. Die Spiegelung bleibt so lange ich bleibe und hinabsehe. Schiffe fahren an, Schiffe wenden, werden von Schiffen gefahren. Der Clochard liegt schlafend auf der falschen Bank. Sein Hund rennt mit anderen Hunden am Ufer hin und her. Eine Taube ordnet kleine Blättchen. Ein Mann spricht mit dem Radio. Ich versuche nicht über die Rillen der Pflastersteine zu treten. Die Notre Dame steht geduldig auf ihrer Insel. Alles folgt seinen eigenen Gesetzen.

Ich flaniere in den Morgen. Ich biege in die nächste Gasse ein. Im Les Deux Magots bestelle ich ein Frühstück. Ich bin froh, dass mich hier niemand kennt. Ich schwebe. Das Interieur schwebt und die mit Geschichte beladene Luft schwebt. Vergangene Gespräche schweben und die sich erhebenden Stimmen.

Auf der Terrasse eilen die Kellner hin und her, verteilen Besteck, wedeln mit weissen Servietten und schieben den Dessertwagen an mir vorbei. Törtchen werden gebracht, Reservationen angefordert und die Gäste zu ihren Plätzen geführt. Ein kleiner Junge dreht mit der Drehtür Runden. Der Kellner mit dem Tablett dreht mit ihm.

Die Zeit steht still und die Drehtür. Gedanken weden von der Klimaanlage gekühlt, der Geschirrwäscher im Hintergrund klappert, der Mann faltet die Zeitung und öffnet eine andere. Der Kellner hilft einer Dame mit Hund auf die gepolsterte Sitzbank. Ihr Parfüm verteilt sich langsam mit dem Luftzug im Raum. Der Leser am Nachbartisch liest. Der Kellner verstaut die Lieferung Zitronen in den Warenlift und lässt ihn per Knopfdruck im Boden verschwinden. Das Kind dreht weiter in der Drehtür. Sie quitscht. Der Mann mit dem Frühstück streicht konzentriert Butter auf das Croissant. Er senkt den Kopf. Seine Augenbrauen, wie vom Wind gekämmten Grasbüschel, zittern. Der Hund bewegt sich. Der Nachbar mit der Zeitung ist verschwunden. Das Geld liegt auf den Tisch. Die Drehtüre dreht leer. Die Dame sitze hinter dem leeren Tisch. Der Hund schläft. Die Dame telefoniert. Der Mann liest weiter. Die Drehtür steht still. Die Gäste sind gegangen, mit dem Kind.

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